Das einzige, n i c h t-zerkratzte Exemplar der Flying Lesbian-LP verstaubt wahrscheinlich irgendwo, tief im Wohnzimmerschrank meiner Schwester. Vielleicht ist das gute Stück damals aber auch gleich in den Müll gewandert. Jedenfalls wurde über „meine“ Schallplatte zu Hause nie wieder gesprochen. Auf Nachfragen, nur Schulterzucken.
Überall sonst ist das leuchtend rote Cover mit der silbernen Doppelaxt und die schwarze Scheibe durch liebevollen Gebrauch kaum noch zu benutzen. Aber, wer hat heute schließlich noch einen Plattenspieler? Deshalb ist es toll, dass es jetzt eine CD gibt. Vielleicht interessiert sich ja meine Großnichte mal dafür?
Als es 1974 losging, war ich 23 und grade mal ein Jahr lesbisch. Hinter mir lagen: mein Zeitungsvolontariat, Sponti-Zeiten, auch ein paar halbwegs erfreuliche Männerbeziehungen, eine aufwühlende Liebesaffaire mit einer Frau und erste zaghafte Versuche im Berliner Sub. Durch Cristina Perincioli bekam ich glücklicherweise Kontakt zur Frauen- und Lesbenszene. Und dann ging alles ganz schnell. Seit 35 Jahren bin ich nun „im Club“ und kann mir – trotz höchst dramatischer Trennungen sowohl von Geliebten, als auch von den Flying Lesbians – nichts Schöneres vorstellen. Mit meiner Freundin Claudia lebe ich mittlerweile seit 21 Jahren in der Eifel. Allerdings, als entschiedene Gegnerin einer staatlichen oder gar kirchlichen Liebes-Erlaubnis – in wilder Ehe. Auf unserem Hof gibt es noch Hunde und Katzen und meist leben hier auch noch andere Frauen/Freundinnen.
Die Musik hat mir immer sehr viel bedeutet. Gesang, das habe ich erst später von Frauen wie Carien Wijnen, Ida Kelarova und Romy Camerun – und durch die Songs von Billie Holiday – gelernt, ist nicht nur Ausdruck der Seele, sondern sehr heilsam. In der Regel für die, die singt.
Die Musik der Flying Lesbians – auch wenn wir beim ersten Frauenfest kaum mehr als vier Lieder spielen konnten – hat die Frauen bewegt: emotional und muskulär. Ich werde nie dieses Frauen-Körperfeld vergessen, das vor der Bühne hin- und herwogte: lachende Frauen, weinende, in langen Hippie-Röcken, eine in Pelz-Stola und schwarzem Wuschelkopf, viele mit freiem Oberkörper, wieder andere im schwarzen Leder-Outfit. Kesse Väter aus dem Sub, Femmes, Heterofrauen und Lesben aus dem Zentrum und vom LAZ und ein paar ältere Lesben, die wahrscheinlich noch die Nazi-Zeit erlebt hatten und nun plötzlich von den Jungen einfach mitgerissen wurden. Vorsichtig zunächst und dann beherzt gingen sie alle beim Tanzen auf Tuchfühlung. Was damals überhaupt nicht üblich war! – Es nahm mir den Atem: so viele, schöne Frauen gibt es? Und da waren sie alle.
Dass die Flying Lesbians zusammen blieben, ist wohl dieser Euphorie zu verdanken. Wir wurden getragen und angespornt. Denn Vollblut-Musikerin war ja kaum eine von uns. Jobs, die politische Arbeit, Beziehungen, WG-Konflikte – all das kostete Zeit und Nerven.
Außerdem gab es den Anspruch, alles selbst zu machen, vor allem mit der Technik klarzukommen. Wie habe ich das verflucht! Und dennoch: die bewundernden Blicke der Fans, wenn wir die Boxen schleppten, den alten Hanomag steuerten, wie wir fachfrauisch die Kabel löteten und bald keine Blitze mehr krachten, wenn wir den Stecker in den Verstärker drückten.
Ich kannte Solo-Auftritte von früher, hatte eine eigene Folk-Gruppe und habe in Rock- und Jazzbands gesungen. Die Rolle als Sängerin ist schizophren. Du schaffst Emotionen, genießt die Euphorie und willst doch nach dem Auftritt am liebsten verschwinden. Denn plötzlich meinen die nicht die Stimme auf der Bühne, sondern dich. Männer abzuschütteln, hatte ich gelernt. Frauen wollte ich nicht verletzen. – Aber ich schwöre, ich habe nie eine abgeschleppt!
Auch in der Band gab es Missverständnisse und natürlich auch Eifersucht. Wer das leugnet, hat keine Ahnung vom Musikmachen. Und es gab den Vorwurf: die eine tut zu wenig, die andere schuftet zu viel. Ich glaube, wegen dieser Konflikte und weil für uns alle nicht die Musik das Wichtigste im Leben war, sind die Flying Lesbian auseinander gegangen. Wären wir absolut passionierte Musikerinnen gewesen, vor allem mit Erfolg in der – Männer dominierten – Rockszene, hätten wir sicher weiter gemacht. Der Beweis sind die vielen tollen Frauenbands, die es ja mittlerweile gibt.
Es gab sehr schöne Momente in der Band. Ich erinnere mich an das konzentrierte Arbeiten im Studio. M.S. hatte zwei sehr gute Techniker an Land gezogen, die uns sehr fair unterstützt haben. Technikerinnen in Musikstudios, das gab es damals noch weniger als Instrumentalistinnen auf der Bühne. Ich weiß noch, wie aufregend es war, spät in der Nacht, mit einem Bier in der Hand, die fertig gemischten Aufnahmen zu hören.
Zum Glück gab es ja für uns alle ein Leben nach den Flying Lesbians. Für mich war das auch die Landlesben-Bewegung und ist bis heute meine Arbeit als Hörfunk-Journalistin.
Ab und zu bin ich später alleine aufgetreten. Und einige Male mit Begleitung. In Kassel haben die Pianistin Barbara Gabler und ich einen schönen Abend mit Liedern von Billie Holiday gegeben.
Und bei solchen Gelegenheiten ist es dann wieder da: dieses Bild von den 2000 Frauen, die miteinander tanzen, lachen und singen: „Frauen kommt her, wir tun uns zusammen….“ und „Wir sind eine Million Jahre alt…..“
Rundfunkarbeiten von Monika Mengel: Frauenporträts aus Geschichte und Gegenwart, unter:
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