Musik war immer schon Teil meines Lebens.
1952 geboren und aufgewachsen im Aachener Land, gehörte ich zu denen, die in der Schule noch Noten lesen gelernt hatten. Doch nach kurzem Debüt als Flötistin in der „Volksschule“, später Gitarristin, Querflötistin und schließlich Bassistin auf der höheren Mädchenschule, bahnte sich ein Interessenkonflikt an: Die Mädchenwelt der Schule war geteilt zwischen Heino-Fans und Holland-Fans. Die holländische Grenze war gleich um die Ecke und nachdem ich mit 14 Jahren aus der Schulband „entfernt“ worden war, weil ich während der „modernen“ Jugendmesse beim Bassgitarre spielen mit der Hüfte gewippt hatte, verließ mich für immer der Glaube an die Toleranz der Kirche und ich machte musikalisch und freizeitmässig gesehen rüber zu den bekifften „brothers and sisters“ von Heeren, Sittard, Roermond und später Amsterdam, wo ich mit jungen Indonesiern mit Migrationshintergrund eine Soulband gründete. Es war die Zeit von „black is beautiful“, und da Angela Davis aufgrund ihrer Hautfarbe nur schwer mein Role Model sein konnte, suchte ich unbeirrt weiter.
Mit 18 Jahren kam ich nach Berlin zum Studium an die Universität. Als „Sponti–Linke“ hatte ich ein herrliches Leben. „Anything Goes“ war unsere Devise, wir sahen es nicht so wie die parteiorientierten Studenten der K-Gruppen, die in „Kapital I, II, III- Kursen“ vor sich hin müffelten und gar nicht wussten, wie der „Klassenfeind“ überhaupt in Wirklichkeit aussah. Ich glaubte und glaube noch heute an die Kraft von Avantgarden, kleine mutige Gruppen mit Peer Leader Funktion, die offen oder subversiv auf soziale Diskriminierungen, Widersprüche und Vorurteile aufmerksam machen und Gespräche in Gang bringen. Wir inszenierten unseren Widerstand mit Musik, Kulturinstallationen und Gegenaktionen. Die Professoren an der Hochschule, verunsichert durch die 68er Herausforderungen und ja geradezu schon zwanghaft tolerant, gaben uns unsere Bildungskredits auch für Straßensozialarbeit, Stadtteilkino für Kindertupamaros, Knastarbeit, Mädchenarbeit.
„Einzelfallhilfe“ war mir zu wenig, ich hatte zwar ein paar Pflegekinder zuhause, doch wir wollten den Menschen aus dem Kiez eine Stimme und eine Bühne geben (heute würden wir das „Activ Citizenship“ nennen und Geld dafür bei der EU beantragen).
Erst entstand die Spontizeitung 100 Blumen („Lasst hundert Blumen blühen“, Mao), dann gründeten wir die non-Profit Rockfront „ 100 Gitarren“ („Lasst hundert Gitarren knarren“ – frei nach Mao). Während „Ton Steine Scherben“ in Kreuzberg ihr Wesen trieben, nutzten wir die Alte TU Mensa in der Hardenbergstrasse, gleich um die Ecke vom Bahnhof Zoo für alle Art von Rockfesten.
Wie man ja überall nachlesen kann, entdeckte man in dieser Zeit, dass das Private auch das Politische ist und umgekehrt, und das gab jedem und jeder eine Chance groß heraus zu kommen. Alice S. hatte die Abtreibung von Frauen an die politische Öffentlichkeit gebracht. Als sie ein Stern Cover mit dem Selbstbekenntnis der Inge Meysel und vielen anderen Stars zu „Ich habe abgetrieben“ bekam, war sie auf einen Schlag bekannt und hatte Herrn Nannen nebenbei sehr glücklich gemacht, denn die Verkaufsziffern der Zeitung stiegen in schwindelerregende Höhen.
Das musste noch getoppt werden. Die Ärzte, die illegal abgetrieben hatten, sollten das nächste Selbstbezichtigungscover des Sterns bekommen. Roswitha B., die beste Freundin von Alice S., kam zu diesem Zweck ins Sozialistische Zentrum in der Stephanstraße, um im Rote Hilfe Büro nach Dateien linker Ärzte zu sehen, die man eventuell für diese Aktion erwärmen könnte. Zufällig traf sie auf mich beim Bürodienst. Sie hat sich von Herzen um die Adressen bemüht und schließlich waren wir ein Paar, da wir ja in der Phase der sexuellen Kreativität lebten. Mein schwuler Mitbewohner Walter S. setzte mich auch noch unter Druck und meinte zu Hause, „das wurde ja auch Zeit, dass Du mal was mit einer Frau anfängst. Von der Theorie endlich zur Praxis. Wie wäre es, wenn ihr hier am Cosimaplatz eine LesbenWG macht? Ich such mir dann was Neues…“
Eines Abends waren wir, Alice S., Ursula S., Roswitha B. und ich bei einer feministischen Historikerin zum Abendessen eingeladen. Es war ziemlich langweilig, doch glücklicher Weise stand dort ein Klavier. Eine gewisse Cillie Rentmeister, Kunsthistorikerin, entpuppte sich als flotte Pianistin. Ich fand noch eine Gitarre, auf der ich Bass spielte, und ein paar andere rockten auf irgendetwas mit. Cillies Freundin, Tina Perincioli, kannte ich gut aus dem Sozialistischen Zentrum. Sie führte damals die Zentrumskneipe und war gerade dabei, feministische Filmemacherin zu werden, was ich sehr bewunderte. Aus der 4er-Bande wurden dann sechs. Cillie und Tina hatten sich uns öfter angeschlossen, wenn wir abends ausgingen.
Alice plante ein Fest zum Thema ´sanftes Abtreiben´…Mich interessierte das weniger, nicht weil die Abtreibung kein Thema für eine Lesbe ist, sondern die Opferrolle war mir fremd, zumindest wollte ich nicht davon profitieren. Das war natürlich für viele Frauen ein ganz oberflächlicher Ansatz, wo doch gerade die Medien den Frauen tendenziell eine Opferrolle zuerkannten. Nicht immer: der Film, den Alice zu diesem Thema hatte machen lassen, wurde aus der geplanten Sendezeit im Panorama gestrichen. Ein Fest sollte deshalb her, um ihn dennoch der Öffentlichkeit zu zeigen. Ich kümmerte mich um die TU Mensa, bestellte Getränke, schmierte den Hausmeister, damit er auf unserer Seite war – immerhin mussten wir 2000 Mark Kaution hinterlegen (5 Monate Barfög!), am Cosimaplatz wurde das erste Plakat ge-lay-outet und in Nacht- und Nebelaktionen wurden die U-Bahnhöfe damit bepflastert.
Tina (Cristina Perincioli) wollte unbedingt, dass an diesem Abend eine Frauen Live-Band spielt. Ich hatte Kontakte zur Londoner Lesbenszene, die eine Frauenrockband hatten. Doch anscheinend kamen die Frauen nicht von ihrer Wohnzimmercouch im Londoner Squad hoch, jedenfalls 3 Tage vor dem Fest standen wir definitiv ohne Band da. Das konnten wir so nicht stehen lassen – all die Arbeit nur für die Liberalisierung der Abtreibung? Wir wollten gemeinsam tanzen, neue Ebenen der Kommunikation genießen und natürlich waren wir sehr neugierig darauf, zu sehen, wer den Mut hat, auf der Fete überhaupt aufzukreuzen. Denn immerhin durften NUR FRAUEN aufs Fest (außer dem Hausmeister). Das allein trat schon eine gewaltige Diskussion in den linken WG´s los und nicht jeder „Frauenversteher“ akzeptierte plötzlich, dass die Frauen allein aufs Fest gehen wollten.
Die fieberhafte Suche nach weiteren Musikerinnen ging los, immerhin waren wir schon zu zweit, also Cillie und ich, auch wenn wir nur ein einziges Mal gemeinsam gespielt hatten, – damals bei Gisela B. – waren wir dennoch optimistisch. Rockfront besorgte die Anlage der Berliner Szeneband OS MUNDI, allerdings ohne Schlagzeug. Der Drummer war eigen, wieso sollte eine Frau seine „Schießbude“ berühren? Stattdessen organisierte Tina das Schlagzeug von Ton Steine Scherben, die im Prinzip sehr multi kulti waren und sich von uns Frauen nicht weiter gestört fühlten. Monika Mengel, eine Journalistin aus der Frauenmediengruppe, konnte sehr gut singen und sollte diesen Job übernehmen. Fehlte noch eine Gitarristin und Schlagzeugerin. Schließlich hab ich mal abwechselnd Gitarre und Bass gespielt. Als Schlagzeugerin fanden wir Swetlana Minkow, eine Musikstudentin, und somit die einzige Profimusikerin unter uns. Sie war toll und damit war der Beat zumindest gesichert. Das Tanzbein konnte geschwungen werden.
Die Mensa war voll, es waren über 2000 Frauen da. Die Stimmung war verrückt positiv, regelrecht ausgelassen. Im Prinzip spielten wir Rock´n Roll und wenn die Arme müde wurden und die Finger schmerzten, wurden wir langsamer und es wurde Blues, der von Monika Mengel hinreißend in Szene gesungen wurde. Doch um ehrlich zu sein, nüchtern betrachtet waren wir musikalisch gesehen grottenschlecht an diesem Abend und das war gut so, denn alle trauten sich, mitzuspielen und mitzusingen. Schließlich waren mindestens 30 Frauen mit uns auf der Bühne, es war eine Woge der Unterstützung und Freundschaftlichkeit, die uns schließlich überzeugte, eine gemeinsame Frauenrockband zu gründen und weiter zu machen.
M.S.